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HEIMATSUCHENDE
INKLUSIONSKONZEPT
DAS EINWEBEN VON UNTERKÜNFTEN IN DAS STADTBILD
Theorie Wintersemester 2015/16 I Betreuer: Prof. Franz Xaver Baier
Verfasser: Phillipp Jung, Farah Jean Fürst

"AUFSTAND DER MASSEN"

José Ortega befasste in den 1920er Jahren mit der dem Massenmenschen, welcher sich nicht mehr passiv und gehorsam gegenüber einer führenden Gesellschaftsschicht verhält, sondern Recht auf seine eigene Gewöhnlichkeit einfordert.
Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise sieht er als eines der Hauptprobleme die Überfüllung der Städte und der Versuch des Einzelnen, einen Platz zu finden. Dabei entwickelt er den Massenmensch jedoch nicht quantitativ, sondern beschreibt ihn psychologisch:
„Charakteristisch für den gegenwärtigen Augenblick ist jedoch, daß die gewöhnliche Seele sich über ihre Gewöhnlichkeit klar ist, aber die Unverfrorenheit besitzt, für das Recht der Gewöhnlichkeit einzutreten und es überall einzusetzen.“ Gleichzeitig attestiert Ortega durch das Massenphänomen auch eine Steigerung des Lebensstandards, welcher u.a. den kleinen Errungenschaften von vielen Einzelpersonen zu verdanken ist: „So fördert der Durchschnittsgelehrte den Fortschritt der Wissenschaft, eingesperrt in seine Laboratoriumszelle wie eine Biene in der Wabe ihres Stocks oder wie der Gaul im Laufkreis des Göpels.“
Auch ein Moralverfall wird thematisiert, indem Menschen (vergleichbar mit dem Faschismus) ohne Rücksicht ihren Willen durchsetzen und somit eine liberale Ordnung, in der ein Zusammenleben mit dem Schwächeren möglich wäre gefährdet. Die Masse wählt den direkten Weg, ohne einer Minderheit ihr Recht zuzugestehen.
Hieraus entwickelt Ortega auch eine Staatskritik, in der eine anonyme aktiv werdene Masse lyncht und einen anonymen Staat (ursp. reines Verwaltungsorgan) übernimmt, welcher dann wiederum alles bürokratisiert und den Einzelnen verhätschelt. Der Autor plädiert nicht zuletzt deshalb für einen europäischen Nationalstaat, welcher sich über sprachliche und ethnische Unterschiede hinwegsetzt.
Quelle: Aufstand der Massen, S.13 ff 117 ff

MASSENPROBLEME

Die von Ortega beschriebenen Beobachtungen haben auch heute in vielerlei Hinsicht nicht an Aktualität verloren. Ein Beispiel hierfür ist die reaktionäre Bewegung Pegida, welche sich als durchschnittliche Deutsche, selbst gar als Europäer verstehen, und ihr „Recht“, dass alles bleiben soll wie gewohnt, lautstark einfordern. Sie lassen keine Meinung neben der Eigenen gelten und bieten eine vermeintliche Plattform für ängstliche Menschen.
Durch die Menschenmenge generieren sie Stärke und Aufmerksamkeit. Durch ihre Parolen wird nicht nur Angst geschürt, sondern auch ein Gewaltpotenzial gegen Flüchtlinge geschaffen. Jedoch auch umgekehrt funktionieren Ortegas Thesen, indem durch den Vorbehalt einer würdigen Unterbringung, bzw. eines würdigen Lebensstandards für Heimatsuchende eine quantitative Masse an unzufriedenen Menschen aktiv wird und gegeneinander, oder gegen andere Menschen Gewalt anwendet.
Generell spielt bei Massenphänomenen auch der Kontext, ob existenziell oder in einer Wohlstandsgesellschaft eine Rolle, sowie die Bewegungsrichtung der Masse (miteinander oder gegeneinander). Empfindet der Einzelne sich von einer gegenüberstehenden Masse eingeengt oder benachteiligt, entsteht ein Konfliktpotenzial, welches sich in Abhängigkeit von der Dauer der Stresssituation zu einer Auseinandersetzung entwickeln kann.
Fühlt sich hingegen die Masse gemeinsam positiv oder negativ von äußeren Umständen beeinflusst kann dies zu Euphorie oder Aggression führen. Die amerikanische Neuropsychologin Naomi Eisenberger fand hierzu heraus, dass das Gehirn soziale Ausgrenzung, Demütigung oder Armut genauso empfindet und mit Aggression beantwortet, wie wenn körperliche Gewalt zugefügt wird.

SOZIALE INKLUSION

Massenprobleme in Bezug auf das Thema Heimatsuchende entstehen durch eine Ansammlung von Menschen mit unterschiedlicher Interessenslage.
Faktoren wie, unterschiedlicher kultureller Hintergrund, kaum spürbare Lebensverbesserungen im Vergleich zur Fluchtursache tragen in Kombination mit dem beengten Lebenswandel zu Konflikten bei. Ein Ansatz um diesem Zustand entgegen zu treten, ist das Konzept der sozialen Inklusion. Diese wird verwirklicht, wenn jeder Mensch in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben. Unterschiede und Abweichungen werden im Rahmen der sozialen Inklusion bewusst wahrgenommen, aber in ihrer Bedeutung eingeschränkt oder gar aufgehoben.
Ihr Vorhandensein wird von der Gesellschaft weder in Frage gestellt noch als Besonderheit gesehen. Das Recht zur Teilhabe wird sozialethisch begründet und bezieht sich auf sämtliche Lebensbereiche, in denen sich alle barrierefrei bewegen können sollen. Sie bedeutet auch Gleichwertigkeit eines Individuums ohne „Normalität“, da als Normal die Vielfalt angesehen wird. Die Gesellschaft schafft Strukturen, in denen sich Personen mit Besonderheiten einbringen und auf die ihnen eigene Art wertvolle Leistungen erbringen können.
Dort, wo Inklusion als sozialpolitisches Konzept gelingt, werden separierende Einrichtungen überflüssig.

THESE UND ZIELSETZUNG

Zuvor beschriebene Gewaltpotenziale sind oftmals Extremsituationen geschuldet. Dies wird deutlich, wenn man die derzeitige Ausgangslage von Heimatsuchenden genauer betrachtet.
Gewalt hat jedoch auch mit Menschenmassen zu tun - sie tritt als Massenphänomen auf und kann sowohl auf Konflikte untereinander bezogen werden, wenn zu viele Menschen auf engem Raum unwürdig untergebracht sind, als auch auf ein Phänomen, wenn sich diese Masse plötzlich als Einheit (vgl. Banlieus) gegen das System auflehnt und vergleichbar zu José Ortegas Schrift „Aufstand der Massen“ ihr Recht auf Selbstbestimmung und einem besseren Leben einfordert.
Aus der Frage, wie ein solcher gesellschaftlicher Konflikt bewältigt werden kann und durch die Recherche über Gewaltpotenziale, Massenphänomene und soziale Inklusion lässt sich folgende These ableiten: Menschenmassen bieten ein Konflikt- und Gewaltpotenzial untereinander und gegenüber Anderen. Sie erschweren den integrativen Prozess, da für manche einheimische Menschen eine Masse an fremden Personen eine potenzielle Bedrohung in mehrerlei Hinsicht (kulturelle Differenzen, Religion, Sozialneid, Angst vor Überfremdung) darstellt.
Gleichzeitig werden ankommende Heimatsuchende aber in Massenunterkünften von der Gesellschaft quasi separiert untergebracht. Es kann hingegen empirisch nachvollzogen werden, dass sich Vorurteile abbauen, wenn man fremde Menschen persönlich kennenlernt, man nicht mehr eine fremde Masse, sondern reale Personen mit eigenen Geschichten und Schicksalen vor sich hat.
Was nötig ist, kann in Form eines Inklusionskonzeptes erfolgen. Die Auflösung von separaten Massenunterkünften und das Einleiten eines Integrationsprozesses der Menschen durch eine Inklusion, ein vorsichtiges Einweben von Unterkunftsmöglichkeiten in das Stadtbild, bauen Konflikte und Differenzen unter Flüchtlingen ab, und bringen beheimatete und heimatsuchende Menschen in unmittelbaren Kontakt.

VERSUCHSORT MÜNCHEN SCHWABING

Hierzu werden Baulücken im Münchener Stadtteil Schwabing herangezogen.
Typologisch ist der städtische Blockrand nicht als gesamter Körper zu verstehen, sondern als Einzelhäuser mit seitlichen Hofeinfahrten. Diese schmalen Resträume von meist 7 Metern Breite und 15 Metern Länge im Stadtbild werden genutzt, um effiziente Unterkünfte einzubringen, welche Rückzugsräume und Gemeinschaftsflächen beinhalten sollen.
Bis zu 22 Personen, vorrangig Familien, finden in den Herbergen Platz. Thematisch soll der geplante Körper ein hohes Maß an Flexibilität bringen, indem Decken und Raumabschlüsse entsprechend späteren Nutzungskonzepten einfach eingezogen werden können.
Was kurzfristig als Unterkunft dient, kann sich langfristig entweder zu kleinen Appartments oder größeren separaten Wohneinheiten entwickeln - auch der Anschluss von einzelnen Bereichen an bestehende Wohnungen in den angrenzenden Häusern ist denkbar. Die Durchfahrt zu den Hinterhöfen bleibt durch das Anheben der Struktur in das erste Obergeschoss erhalten.
Das Treppenhaus und dienende Funktionen werden separat neben den Hauptraum gestellt, so dass dieser frei von räumlichen Zwängen bleiben kann. In der obersten Ebene werden Gemeinschaftsbereiche und eine Dachterrasse als halböffentliche Bereiche artikuliert, in welchen Treffen und Veranstaltungen mit den umliegenden Bewohnern stattfinden können und somit Jedermann von der zentralen Integration profitiert.